Wie alles begann....

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Perlen der Hoffnung

Der Onlinemarkt Dawanda macht dicht und schockt damit Händler wie Anja Weithäuser. Doch sie hat bereits einen Plan.

© Sven Ellger

Von Henry Berndt

Die Tür klemmt. Nur mit Kraft lässt sie sich über den Teppichbelag schieben, um in den kleinen Raum zu gelangen. Vielleicht soll sie Anja und Marco ja daran erinnern, wie viel Einsatz es braucht, um neue Türen zu öffnen. Genau das ist nämlich gerade mal wieder vonnöten.

Die Onlineplattform Dawanda, auf der vor allem kleine Gewerbetreibende seit zwölf Jahren ihre meist handgemachten Produkte verkaufen, kündigte im Juni an, ihren Betrieb Ende August einstellen zu wollen. Von heute auf morgen wird damit eine Marke aus dem Internet verschwinden, mit der zuletzt mehr als 360 000 Hersteller und fast sieben Millionen Nutzer verbunden waren.

Die meisten Händler traf diese Nachricht aus heiterem Himmel. Viele hatten ihr ganzes Geschäft oder zumindest weite Teile auf den Dawanda-Marktplatz ausgerichtet, der immer größer wurde, aber die Macher offenbar wirtschaftlich nicht überzeugen konnte.

Anja Weithäuser ereilte die Nachricht Ende Juni per Mail. „Am Anfang war ich mir noch sicher, dass das eine Falschmeldung sein muss“, sagt sie. Dawanda soll offline gehen? Das ist doch undenkbar. Seit sechs Jahren verkaufen die 34-Jährige und ihr vier Jahre älterer Mann Marco von einem kleinen Lagerraum im Eiswurmlager in Dresden-Plauen aus handgefertigten Schmuck und das Rohmaterial dazu über Dawanda. Etwa 80 Prozent ihres Umsatzes machten sie zuletzt über das Portal. Die übrigen Kunden erreichen sie über ihren eigenen Webshop – und über Etsy, das amerikanische Dawanda mit über 25 Millionen Mitgliedern. Eben jenes Etsy ist für die jungen Dresdner aus dem Eiswurmlager Problem und Lösung zugleich. Der US-Gigant will möglichst alle Händler übernehmen.

Geschenk als Volltreffer

Aber der Reihe nach. Es gab eine Zeit, da dachten Anja und Marco nicht im Traum daran, dass sie mal ihren eigenen Schmuck verkaufen würden. Er plante als Ingenieur Kläranlagen, sie entwickelte nach ihrem Physikstudium Experimentierkästen für Schulen – und tut das bis heute einige Stunden pro Woche. „Eines Tages erzählte mir meine Mutter mal von diesem Schmuck zum Selberbasteln“, erinnert sich Anja. Zum Geburtstag habe sie dann wenig später ein Starterset geschenkt bekommen. Ein paar Perlen und eine Zange.

Selten entpuppt sich ein Geburtstagsgeschenk als derartiger Volltreffer. Erst bastelte Anja nur Schmuck für sich, dann für ihre Freunde. Die ermutigten sie, ihre kleinen Kunstwerke doch auch zu verkaufen. Gemeinsam mit Marco meldete sie 2012 ein Gewerbe an. Sie nannten sich „Juvelato“ und bastelten zunächst noch im Arbeitszimmer in ihrer Wohnung. Bald fingen sie parallel dazu an, auch das unverarbeitete Material anzubieten. Als sich ihr erstes Töchterchen ankündigte, musste die Arbeit ins Eiswurmlager umziehen, und hier verbirgt sie sich nun hinter dieser schwergängigen Tür im ersten Stock.

Rund 30 Quadratmeter sollen das sein. Es sieht nach weniger aus, was wahrscheinlich an der intensiven Möblierung liegt. Jede Ecke wird mehr oder weniger effektiv im Sinne des Projektes ausgenutzt. Marco ist für die Materialien und den Versand zuständig. In seiner Ecke sieht es aus wie im Süßwarenladen, nur dass man all die bunten Kugeln besser nicht essen sollte. Hunderte von kleinen Schachteln und Dosen dienen ihm als Lager. Anja sitzt derweil an einem Schreibtisch in einer anderen Ecke des Raumes. Sie ist für das Kreative zuständig und ersinnt ständig neue Ohrstecker, Ketten, Armbänder und allen erdenklichen Schmuck. „Zurzeit sind besonders Gravuren im Trend“, sagt sie. Die Verkäufe laufen bestens. Sogar außergewöhnlich gut für diese Jahreszeit. Wie Weihnachten.

„Seit bekannt ist, dass Dawanda bald schließt, kaufen die uns den ganzen Laden leer“, sagt Anja. Und so kommen die beiden mit dem Produzieren und Verpacken kaum hinterher. Dabei brauchten sie eigentlich gerade jede Minute, die ihnen neben der Betreuung ihrer beiden kleinen Töchter bleibt, dringend für den nötigen Neustart im Nach-Dawanda-Zeitalter.

Erst die Leere, dann der Mut

„Die ersten Tage waren schon hart“, sagt Anja. Inzwischen hätten sie und ihr Mann aber längst neue Hoffnung geschöpft und sich damit abgefunden, dass die Zukunft Etsy heißt und vielleicht sogar neue Chancen mit sich bringt. Einen Shop haben sie schon länger dort. Nun stellte ihnen Dawanda ein Programm zu Verfügung, mit dem sie ihre Produkte halbwegs automatisch zu Etsy rüberschieben können. Bei rund 10 000 Waren wäre das ansonsten ein kaum abzuschätzender Aufwand gewesen.

Wie sich Juvelato bei Etsy schlagen wird, das müssen die nächsten Monate zeigen. Vorsichtshalber hat Anja ihre Stunden als Experimentierkasten-Entwicklerin von 15 auf 24 pro Woche hochsetzen lassen.

Und doch sind die beiden sich wieder sicher: Die Welt braucht ihre Perlen. Mit oder ohne Dawanda.

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